Die zweitälteste aktive Schalmeiengruppe Deutschlands spielt in Bad Säckingen-Wallbach

Die Schalmei und Radsport gehören in Wallbach seit über 100 Jahren zusammen. Warum die Schalmeiengruppe Teil des Radsportvereins ist – und wie ihre Mitglieder die Tradition am Leben halten.

Die Schalmeiengruppe des Radsportvereins Wallbach bei der Probe  | Foto: Lukas Müller
1/5Die Schalmeiengruppe des Radsportvereins Wallbach bei der Probe Foto: Lukas Müller
Friederike Wunderle-Leber und Wolfgang...chts) sind zur offenen Probe gekommen.  | Foto: Lukas Müller
Paul Frank ist Abteilungsleiter der Schalmeiengruppe.  | Foto: Lukas Müller
Daniela Seitz (von links) spielt 1. St... Anne Steinebrunner spielen 2. Stimme.  | Foto: Lukas Müller
Michael Post am Barriton  | Foto: Lukas Müller

Friederike Wunderle-Leber hält sich die Backen. „Lecko mio!“ Gerade hat sie bei der offenen Probe der Schalmeiengruppe des Radsportvereins (RSV) Wallbach ihr erstes Stück gespielt. Wunderle-Leber ist Mitglied ebenfalls beim RSV, dort aber in der Fitmix-Abteilung. Für das zweite Stück wird ihr ein Mundstück gereicht. Damit gehe es viel besser, aber trotzdem sagt sie danach: „Am Anfang geht’s noch mit der Luft, aber irgendwann ist vorbei.“

Je nach Ausführung können mit einer Schalmei vier, acht oder 16 Töne gespielt werden

Bei den Martinstrompeten beziehungsweise Schalmeien muss möglichst viel Atemluftdruck erzeugt werden, damit ein Ton entsteht. „Leise geht nicht“, sagt Anne Steinebrunner. Es gibt die Schalmeien in mehreren Tonlagen wie Sopran, Alt, Bariton und Bass, je nach Ausführung haben sie unterschiedlich viele Schallbecher, also Öffnungen, und Ventile. So können vier, acht oder 16 Töne pro Instrument gespielt werden. Dabei entsteht ein kräftiger Klang, der an Blasmusikorchester erinnert, aber etwas weniger nuanciert ist. Beim RSV spielen sie mit vier- und achttönigen Schalmeien.

Karl Thomann kann die Schalmei in allen Ausführungen spielen. Seit fast 40 Jahren ist er musikalischer Leiter der Gruppe, 30 Jahre lang war er auch Vorsitzender des RSV. Und das, obwohl er sagt: „Mit Sport habe ich überhaupt nichts zu tun gehabt.“ Thomann kam zur Schalmeiengruppe, als diese neue Leute gesucht hat, weil viele Ältere aufgehört haben. Mehrere Familienmitglieder waren bereits dabei. Zudem war Thomann schon im Musikverein Wallbach aktiv, auch heute spielen er und weitere Mitglieder der Schalmeiengruppe in beiden Vereinen.

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Karl Thomann (rechts) war 30 Jahre lang Vorsitzender des Radsportvereins Wallbach – obwohl er mit dem Sport nichts zu tun gehabt hat. Foto: Lukas Müller

Ursprünglich wurden die Martinstrompeten von Max B. Martin, dessen gleichnamige Firma auch das Martinshorn erfand, als Signalinstrument entwickelt, das mehr als einen Ton spielen kann. So kündigte etwa die „Kaiserfanfare“ ein Fahrzeug der kaiserlichen Familie an. 1905 wurden die ersten Martinstrompeten, die als Musikinstrumente auch Schalmeien genannt werden, erfunden.

Bei Radsportvereinen kamen die Instrumente anfangs vor allem bei Korso-Ausfahrten zum Einsatz – dafür sei auch der RSV Germania Wallbach 1909 gegründet worden, sagt Karl Thomann. Bei den Korsos handelt es sich um Paradefahrten mit geschmückten Fahrrädern. „Da hat Musik immer dazugehört“, sagt der Abteilungsleiter der Schalmeiengruppe, Paul Frank, der seit 1983 dabei ist.

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Zum 100-jährigen Bestehen des RSV Wallbach veranstaltete der Verein 2009 ein Korso. Auf dem Bild ist der RMSV Rotzel zu sehen. Foto: Hildegard Siebold

Einige Lieder und Märsche wurden speziell für Schalmeien geschrieben, Musik zum Schunkeln und Schaukeln. Etwa der Lätitia-Marsch. Dieser wird in Wallbach immer gespielt, sagt Nicolas Joos, der als Vereinsvorsitzender auf Thomann folgte. „Der [Lätitia-Marsch] isch immer d’Letscht, dann isch fertig.“ Deshalb wird er intern auch so genannt: d’Letscht.

Vergangenes Jahr hat der RSV ein altes Protokollbuch gefunden. Dieses belegt, dass schon im August 1922 beschlossen wurde, vier Schalmeien zu kaufen. Wie es bei der Hauptversammlung hieß, könnte man damit die älteste bestehende Schalmeiengruppe Deutschlands sein. Inzwischen ist klar: Mindestens eine Schalmeienkapelle aus Thüringen ist noch älter, sie wurde bereits 1910 gegründet. Überhaupt stammen fünf der sechs ältesten aktiven Kapellen aus Ostdeutschland.

Im Gegensatz zur Gruppe in Wallbach, die aus rund zehn Personen besteht, seien die Kapellen im Osten mit 30 bis 50 Aktiven oft deutlich größer und spielen viele moderne Stücke, sagen die RSV-Mitglieder. Hier in der Region – lange Zeit gab es noch Gruppen in Nollingen und Ofteringen – gebe es kaum noch Kapellen. In Freiburg ist noch die Badische Schalmeienkapelle aktiv, vor allem an Fasnacht.

Beim RSV habe Corona ein kleines Loch gerissen, sagt Nicolas Joos. Nun wolle man sich wieder regelmäßiger treffen. „Es geht um die Tradition.“ Es wäre schade, wenn diese enden würde. Deshalb spiele die Gruppe auch weiterhin die alten Märsche – neben einigen neueren Liedern, die sie adaptiert haben: etwa „Ein Stern (…der deinen Namen trägt)“ von DJ Ötzi oder, auch wegen des Titels passend, „Atemlos“ von Helene Fischer.

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Die Schalmeiengruppe bei der Probe in den Vereinsräumlichkeiten des RSV Wallbach in der Flößerhalle. Foto: Lukas Müller

„Karl kann alles – und auswendig“, sagt Joos über Karl Thomann. Bei der Probe gibt er die Kommandos für den Einstieg und ermutigt die beiden Neulinge. Neben Friederike Wunderle-Leber ist auch Wolfgang Bär von den Radballern dabei. Insgesamt sind sie an diesem Abend zu neunt. Viele, die in der Gruppe spielen, sind über die Familie reingerutscht. Wie Joos sagt, suchen sie nach neuen Mitgliedern. Die Suche sei zwar schwierig, aber es gebe ein paar Interessenten.

Spontan schaut bei der Probe auch Thomas Thomann, der Bruder von Karl, vorbei, um eine Schalmei auszuleihen. Er bereitet gerade den Auftritt des Ehemaligen-Orchesters des Musikvereins Wallbach vor, der 150-jähriges Bestehen feiert. „Wenn ihr jetzt noch Lätitia spielt, bin ich dabei“, sagt er. Gesagt, getan. Ausnahmsweise geht es nach „Lätitia“ noch weiter. Beim dreitägigen Dorffest im Juli will die Schalmeiengruppe wieder auftreten, „aber wir müssen gucken, dass genügend da sind“, sagt Joos. Sobald drei oder vier Personen fehlen, werde es schwierig.

Vor der Probe hatte Karl Thomann gesagt: „Nach drei oder vier Stücken ist die Luft raus.“ An diesem Abend aber spielt die Gruppe gar sieben oder acht Stücke. Bevor die Probe endet, sagt Abteilungsleiter Paul Frank: „Aber es ist nicht zu Ende ohne d’Letscht.“

Ein Video der Schalmeiengruppe gibt es auf deren Website unter www.mehr.bz/rsvw-schalmeien.

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